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Dangerous Biking
Gestern Abend, es war schon dunkel, fuhr ich vom Kino nach Hause. Friedlich und nichts Böses ahnend bog ich nach rechts ab – als plötzlich wie aus dem Nichts ein Radfahrer neben mir auftauchte. Dunkles Rad und unbeleuchtet, schwarzen Rolli bis zur Nase ausgefahren; und eine ebenso schwarze Mütze tief in die Stirn gezogen. Bevor ich noch recht wusste, was da eigentlich passiert war, stand ich schon auf der Bremse. Und der Radler hatte gedankenschnell sein Bike herumgerissen, und es war nichts passiert. Aber diesmal wollte ich das nicht auf sich beruhen lassen. Jeder hat sie sicher schon mal gesehen: Die dunkel gekleideten Personen, die man spätnachts auf unbeleuchteten Straßen immer nur als schemenhafte, geschwindigkeitsverwischte Schatten wahrnimmt, oder gar nicht mehr – wenn sie nämlich unter dem Auto liegen.
Gestern wollte ich ich also einen dieser Verkehrsrowdys zur Rede stellen. Ich öffnete die Tür, stieg aus, holte tief Luft – und hielt erst mal erstaunt inne. Der Radfahrer hatte sich wieder aufgerappelt, richtete seine Kleidung, zog die Mütze aus, um sie zurechtzuschieben ... und darunter kam ein seriös wirkender Herr mit angegrauten Haaren zum Vorschein. Mitte 50 mochte er etwa sein. Ich hatte mit einem zugedröhnten 16jährigen gerechnet, der auf seiner Klapperkarre ohne Beleuchtungseinrichtung unterwegs ist und einfach gar nichts mehr merkt. Aber das nachtschwarze Rennrad des Herrn sah teurer aus als das Auto, aus dem ich gerade ausgestiegen war. »Was denken Sie sich eigentlich dabei?«, sagte ich und enthielt mich sämtlicher emotional gefärbter Titulierungen. »Sie waren überhaupt nicht zu sehen!« »Ich weiß«, antwortete der Herr selbstzufrieden. »Wow, das war knapp.« »Jaaa – warum machen sie denn kein Licht an? Wenn Ihr Licht kaputt ist ... Meine Güte, und dann auch noch ganz in schwarz gekleidet und ohne Reflektoren.« »Ja, wissen Sie«, sagte der Biker, gelassen an sein Rad gelehnt. »Das ist ja gerade der Witz dabei.« »Was?«, fragte ich verständnislos. »Das man sich überfahren lässt?« »Nein das Adrenalin – man rast durch die Straßen, ganz auf sich selbst gestellt, weil niemand einen sehen kann. Das ist der ultimative Kick!« Er notiert etwas in seinem Notizbuch. »Sind Sie nicht ein wenig zu alt für so etwas?«, fragte ich konsterniert. »Im Gegenteil«, sagte der Herr. »Dangerous Biking ist eine Sportart, bei der das Alter kaum eine Rolle spielt. Gut, man muss noch Radfahren können, und man sollte auch gute Reflexe haben. Aber an sich kommt es nicht auf Kraft und Tempo an, sondern auf Voraussicht, das richtige Outfit, Streckenplanung und, nun, natürlich nicht zuletzt auf die Coolness!« »Dangerous Biking?«, wiederholte ich verständnislos. »Sportart?« »Also bitte«, sagte der Radfahrer. »Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass so viele unbeleuchtete Räder mit schwarz gekleideten Radfahrern zufällig unterwegs sind? Dangerous Biking ist die neue Extremsportart, top-in. Spezielle Bikes mit extrastarken Bremsen, aber einem Rahmen, der fast unsichtbar ist. Elegante schwarze Kleidung ... Das macht was her. So junge Typen könnten sich das alles gar nicht leisten.« »Das ist also ein Sport für Sie?«, fragte ich fassungslos. Der Dangerous Biker schien meine unausgesprochenen Bedenken zu kennen. »Sie halten mich wohl für leichtsinnig? Aber das täuscht. Als Laie können Sie das nicht einschätzen. Aber wir haben die Risiken voll im Griff. Wir sind nicht solche verantwortungslosen Typen wie die Xtreme Nosebiker; bei uns ist alles kalkuliert.« »Extreme ... Nosebiker ...?«, wiederholte ich fassungslos. »Das sind Verrückte«, sagte der Herr.
Lange Rede kurzer Sinn: Als meine nächtliche Begegnung ihr Ende findet, der Dangerous Biker weiterfährt und nach wenigen Metern im Dunkel verschwindet, habe ich eine Menge gelernt. Ich weiß jetzt, dass die ganzen Verrückten, die nachts unbeleuchtet auf dem Rad unterwegs sind, gar nicht leichtsinnig sind, sondern trendige Extremsportler. So ganz überzeugt hat mich die Sache allerdings nicht – ich denke, ich spare mir meinen Einstieg in diese Sportart bis deutlich nach der Midlife-Crisis auf. Ach ja, Xtreme Nosebiking ist übrigens Radfahren im Dunkeln mit einer um mindestens 7 Dioptrien abweichenden Brille. Meinem Gewährsmann zufolge ist das auch eine Trendsportart, aber eher für Prolos. Nun, ich bin dafür anscheinend viel eher prädestiniert als für das Dangerous Biking: Ich muss nur meine Brille ablegen. Ist billiger als die Spezialausrüstung des D-Bikers ... Und ganz behutsam habe ich es auch schon mal ausprobiert: Vor dem Internet. War noch etwas langweilig, und ich hab mich gleich auf eine Pornoseite versurft. Hab nicht mal was davon gehabt, weil nichts gesehen :-( Aber mit entsprechend teurer Spezialausrüstung lässt sich daraus bestimmt noch was machen: Die Trendsportart für Couchpotatoes. Wenn das Konzept steht, melde ich mich wieder mit der Vermarktung. Achten Sie in der Zwischenzeit schon mal auf Xtreme Nosebike-Surfing. Und natürlich auf die Dangerous Biker, denn die sind bestimmt auch heute Nacht wieder unterwegs. |