Schlechter Service – eine Gefahr für die Evolution?

Dann und wann bekommt meine Freundin den Eindruck, ich wäre nicht ganz bei mir und hätte mich in Abstrusitäten verstiegen, die schwer nachvollziehbar sind. Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung: Ich habe mich tatsächlich verstiegen, und zwar in höchste Höhen, wo ich mit Gott die Unzulänglichkeiten der Schöpfung diskutiere und konkrete Verbesserungsvorschläge unterbreite. Denn wenn man sich so anschaut, wie viele Leute mit den Verhältnissen unzufrieden sind, wird es doch höchste Zeit, dass am Marketing für die »Schöpfung« gearbeitet wird – meiner Einschätzung nach ein guter Zeitpunkt, um auf ein offenes Ohr für Kundenwünsche zu hoffen.

Letztens kam mir die Idee, um wie viel praktischer es doch wäre, wenn der Organismus modularer aufgebaut wäre. Man stelle sich nur mal vor, wie einfach das Leben würde, könnte man einzelne Teile des Körpers mühelos entfernen und austauschen – und nicht nur über blutige Operationen und mit heftigen Medikamenten, die nach einer Transplantation die Immunabwehr unterdrücken.
  Aber nicht nur bei schweren Krankheiten könnte ein modulares System die Lebensqualität steigern. Das fängt schon ganz banal im Alltag an: Schon mal etwas von der so genannten »Darmreinigung« gehört? Verblüffend, was für ein ekelhaftes Zeug die Leute in sich reinkippen, um angeblich gesundheitlicher Verbesserungen willen ... Mit dem modularen Körper: Kein Problem! Darm entnehmen, zur Säuberung einschicken und überhaupt nichts von den ganzen Dingen mitbekommen, die im Verlauf des Prozesses da hindurchlaufen.

Ich hatte den Eindruck, meine diesbezüglichen Verbesserungsvorschläge stießen beim Empfänger der Botschaft auf großes Interesse: Zumindest empfing ich eine Antwort, und der liebe Gott ließ mich kurz in die alternative Welt der modularen Körper hineinhören – genau gesagt in die Servicestelle eines Organpflegeunternehmens:

»Ich hatte vor 14 Tagen meinen Darm zur Darmreinigung eingeschickt, und seither habe ich schon dreimal angerufen und werde immer wieder vertröstet. Ich habe wirklich Hunger und brauche ihn zurück, oder können Sie mir zumindest einen Ersatzdarm stellen?«
  »Ja, tut uns Leid, aber im Moment haben wir wirklich viel zu tun. Nächste Woche vielleicht ... Ich sehe mal was ich für sie tun kann. Wir melden uns dann bei Ihnen!«

»Erinnern sie sich noch? Ich hatte ihnen letzte Woche mein Gehirn zugeschickt, damit sie sich die schadhaften Speicherbausteine im Namens- und Zahlengedächtnis mal ansehen. Das kann doch nicht so lange dauern – meine Arbeit leidet schon darunter, und wenn ich es nicht bald wiederkriege, verliere ich meinen Job!«
  »Ja, entschuldigen Sie. Aber dafür bin ich leider nicht zuständig. Rufen sie doch Herrn Müller an unter der Durchwahl 236423.«
  »Wie bitte? Können Sie das noch mal zum mitschreiben wiederholen? Ich habe mein Gehirn grad nicht zur Hand, und außerdem hat das sowieso eine Schwäche im ... Hallo ..?«
  »Tut tut tut ...«

Oder, schlimmer noch:
  »Ich hatte ihnen letzte Woche mein Gehirn zugeschickt, damit sie sich die schadhaften Speicherbausteine im Namens- und Zahlengedächtnis mal ansehen. Und allmählich bräuchte ich es wirklich wieder zurück. Mein Chef sagt schon, mit mir wäre gar nichts mehr anzufangen.«
  »Ihr Gehirn, sagen Sie? Also, tut mir Leid, bei uns ist nichts angekommen. Sind sie sicher, dass Sie es abgeschickt haben? Wir können noch mal unseren Wareneingang überprüfen, und sie sollten einen Nachverfolgungsantrag bei der Post einreichen. Aber ich kann Ihnen da nicht viel Hoffnung machen.«

Ja, also, was für Rückschlüsse soll ich aus diesen Gesprächsfetzen ziehen? Vielleicht ist der modulare Körper doch keine so gute Idee. Aber andererseits: Die Idee ist schon gut, es scheitert nur an der Organisation und an den gegenwärtigen Geschäftsverhältnissen im Dienstleistungsbereich. Aber das bekommen wir doch geregelt ...

Also, mein Appell an alle Dienstleister: Bitte achten Sie auf Ihren Service! Sorgen Sie dafür, dass Ihre Kunden zufrieden sind und alle Aufträge schnell abgearbeitet werden. Keine Telefonschleifen und Callcenter mit schlecht ausgebildeten Mitarbeitern mehr – denn bedenken Sie: Wenn Sie das in den Griff bekommen, dann würde das alle Probleme der Weltgesundheit lösen! Nur noch schlechter Service und das so genannte »Kundenmanagement« verhindern derzeit, dass die Menschheit die nächste Stufe der Evolution erklimmt.
  Sie haben es in der Hand! Versuchen Sie's einfach ...