Sozialhilfe für Reiche?

Hat die CDU bei den Wahlen so viel schlechter abgeschnitten als bei den Umfragen, weil jede Menge Wähler keine Kanzlerin wollten, aber das aus Gründen der Political Correctness in den Umfragen nicht zugeben wollten? Diese Begründung habe ich nun schon allen Ernstes mehrfach in der Zeitung gefunden.
  Blödsinn. Ich für meinen Teil habe immer schon gerne zugegeben, dass ich Merkel nicht als Kanzlerin will. Und das hat wenig damit zu tun, dass sie eine Frau ist. Und ich habe auch von genug Frauen gehört, dass sie gerne mal eine Frau als Kanzlerin hätten – aber eben nicht Merkel.
  Merkel hat die Wahl verloren, weil sie persönlich einfach nicht für den Posten taugt. Und dass sie eine Frau war, war nicht etwa ein Nachteil – sondern ihr einziger Sympathiebonus und der einzige Grund, dass man sie überhaupt mit Samthandschuhen angefasst und zur Wahl hat antreten lassen. Warum also muss immerzu ihr Geschlecht als Entschuldigung herhalten und wird auch von den Medien bereitwillig zur alleinseligmachenden Erklärung hochstilisiert?

Nein, ich möchte nicht schon wieder die Wahl thematisieren. Diesmal geht es mir um ein ganz anderes und allgemeineres gesellschaftliches Phänomen: Warum ist unsere Gesellschaft inzwischen so leicht bereit, einen angeblichen Geschlechterkampf als Entschuldigung für persönliches Versagen zu akzeptieren?
  Denn schon oft ist mir aufgefallen, dass gewisse Dinge Männern wie Frauen gleichermaßen passieren können – das aber vor allem Frauen dann dazu neigen, es als geschlechtsspezifische Benachteiligung schönzureden. Wenn man mal einen Job nicht kriegt, oder eine Beförderung; wenn man eine schlechte Note kassiert oder eine schlechte Rezension für eine Veröffentlichung: All das liegt nicht etwa an dem, was man getan hat oder tun kann, sondern nur an der Tatsache, dass man eine Frau ist. Wo Männer anfangen, an sich selbst zu zweifeln, da klagen Frauen über Benachteiligung und fordern Solidarität ein.
  Und warum auch nicht? Denn oft genug klappt es ja auch. Und wer von der eigenen Person ablenkt und nur auf sein Geschlecht verweist, und dabei laut genug klagt, kriegt Dinge, die aus eigener Kraft womöglich nicht erreichen wären. Aber wenn man dann zu hören kriegt, dass immer noch mehr Männer als Frauen in Führungspositionen zu finden sind – dann frage ich mich mitunter doch, ob das wirklich an einer geschlechtsspezifischen Benachteiligung liegt oder nicht vielmehr daran, dass über die böse Welt jammern und auf Hilfe von anderen hoffen nicht unbedingt die Qualifikationen sind, die man von einer Führungskraft erwartet.

Wohlgemerkt, ich frage – aber ich habe keine Antwort darauf. Ich sehe nur, dass zwischen dem heutzutage so modernen Bild von der »heldenhaften Kämpferfrau, die sich ihren Weg bahnt«, und der »beschützt mich, denn ich werde benachteiligt«-Realität ein deutlicher Bruch wahrzunehmen ist. Auf der anderen Seite lässt sich aber auch nicht leugnen, dass es reale Diskriminierungen gibt, dass das Geschlecht – wie auch manch andere Eigenschaft – zum Teil ungerechtfertigte Barrieren mit sich bringt.
  Es wäre also gewiss falsch, wenn man in Zukunft alles nur noch als Problem eines Einzelnen betrachten würde, ohne die gesellschaftlichen Komponenten zu berücksichtigen. Es gibt diese Fälle realer Benachteiligung, gleichberechtigt neben den persönlichen Unzulänglichkeiten. Und man muss die Möglichkeit haben, sie konkret anzusprechen und zu verändern.
  Ich würde mir nur wünschen, dass dies nicht mehr reflexhaft geschieht, sondern im Einzelfall immer hinterfragt wird. Ich möchte gerne Belege statt Schlagworte. Und eine differenzierte Betrachtung statt ideologischer Fronten.

Leider basiert auf dieser unreflektierten, programmatischen Wahrnehmung auch die ganze »Frauenförderung« unserer Gesellschaft – mit dem Ergebnis, dass nicht möglichst viele konkrete, benachteiligte weibliche Individuen geschützt werden, sondern die Frauen, die sich zufällig oder aus Berechnung im Bereich entsprechender Fördermaßnahmen aufhalten.
  Es lässt sich durchaus beobachten, dass von der Frauenförderung gerade nicht die benachteiligten Frauen profitieren, sondern dass diese Maßnahmen bevorzugt von den Frauen genutzt werden, die ohnehin schon in einer männlich dominierten Umwelt Fuß gefasst haben und dann die Fördermaßnahmen als zusätzlichen entscheidenden Kick für ihre Karriere nutzen können.
  So kommen also Politikerinnen und Spitzenbeamtinnen mit staatlichen und verbandsgesteuerten Fördermaßnahmen nach oben und helfen dort beispielsweise, Einsparungen im medizinischen und sozialen Bereich durchzusetzen – in Bereichen also, von denen traditionell immer noch viele weibliche Arbeitnehmer abhängen. Wenige Frauen werden also mit gesellschaftlicher Förderung besser gestellt und danken es der Gesellschaft, indem sie Maßnahmen mittragen, durch die viele Frauen schlechter gestellt werden.
  Insofern habe ich manchmal das Gefühl, dass die Frauenförderung in unserer Gesellschaft genauso viel zur Gleichstellung der Geschlechter beiträgt, wie eine Sozialhilfe für Reiche zur Bekämpfung der Armut. Nur merkt das niemand so richtig, weil Gleichstellung in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung mit Stereotypen abgehandelt wird, die das persönliche Handeln der einzelnen und die persönliche Verantwortung weitgehend außen vor lassen.

Am Beispiel Merkel lässt sich noch etwas beobachten: Wenn es in einer Gesellschaft als politisch inkorrekt gilt, einer Frau zu sagen, dass sie etwas falsch gemacht hat; oder dass sie sich schlichtweg verrannt hat oder nicht beliebt genug für einen Posten ist – dann führt das auch leicht dazu, dass Frauen auf einem Posten landen, die eigentlich niemand dort haben möchte. Und das sie dort dann, frei von jeder gesellschaftlichen Kontrolle, fast jeden Unsinn treiben können, der ihnen gerade einfällt.
  Zu beobachten ist das ja gerade in Österreich, wo die Frauenministerin die Nationalhymne ändern lassen möchte. Nicht etwa, indem man eine neuere, zeitgemäßere Hymne auswählt, sondern indem man einfach ein paar »Töchter« im alten Text dazuschreibt. Man merke: Political Correctness umfasst nicht den Respekt vor Kulturgut und der geistigen Schöpfung anderer!
  Eine solche Entwicklung ist in Deutschland zum Glück nicht zu befürchten. Denn wir haben die deutschen Frauen schon in der Nationalhymne ;-)