Filme, auf die die Welt wartet, Teil 1:
Klisti, das kleine Klistier

Für den eiligen Leser: "Mich interessiert das ganze Drumherum nicht. Ich will sofort die Geschichte von Klisti lesen"

Wie der regelmäßige Leser meines Blogs bereits mitbekommen hat, habe ich in letzter Zeit ein wenig meine Ernährungsgewohnheiten umgestellt. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich auch noch ein wenig über "gesunde Ernährung" im Internet informiert. Was man dabei so findet, hat mich allerdings überrascht.
  Damit meine ich speziell ein Forum zum Thema "Heilfasten", über das ich bei meinen Recherchen zufällig gestolpert bin. Und ganz konkret meine ich einen bestimmten Thread auf diesem Forum, in dem die Leute ihre Erfahrung zum Thema "Darmreinigung" ausgetauscht haben. Da musste ich die schockierende Erfahrung machen, dass es tatsächlich weitgehend gesunde Menschen gibt, die keine anderen Probleme haben und sich freiwillig mit unangenehmen Einläufen malträtieren. Und das tun sie nicht nur als Quälerei um der Gesundheit willen, sondern - wenn man manchen Stimmen glauben darf - weil sie sich danach auch ganz toll fühlen, befreit, erleichtert oder was auch immer.
  Ich lasse nun mal die Einzelheiten weg, die dort zu diesem Thema diskutiert wurden. Man findet im Internet ja allerhand Perversionen, über die man lieber den Mantel des Schweigens breitet. Ein Thema allerdings, das dort angesprochen wurde, hat in meinem Kopf eine Assoziationskette in Gang gesetzt: nämlich die Frage, ob man besser von der Pharmaindustrie vorgefertigte Klistiere verwendet oder eine selbst angerührte Brühe.
  Nun kennt wohl jeder den ein oder anderen drögen Firmen- oder Produktvorstellungsfilm, wie er von der Industrie gerne produziert und mitunter bei Firmenbesichtigungen gezeigt wird. Nun, wer keinen solchen Film kennt, kann es sich sicher vorstellen: Im Großen und Ganzen erfährt man dort, wie toll die Firma und ihre Produkte sind, wie unvergleichlich, wie außergewöhnlich, wie ... absolut großartig doch all die banalen Dinge sind, die in dem Film gezeigt werden.
  Und so stellte ich mir, als ich von den industriell gefertigten Klistieren las, die Frage, weshalb denn nie eine solche Firma bei mir einen Werbe- und Propagandafilm für ihre Produkte bestellt. Ich würde ja liebend gern ein Drehbuch dazu schreiben, das alle bisherigen Promotion-Filme in den Schatten stellt. Denn beim Lesen in diesem Forum hatte ich plötzlich die passende Idee, zusammengesetzt aus den üblichen Mustern solcher Werbefilme und den gänzlich unglaubwürdigen Lobpreisungen über die wohltuende Wirkung von Einläufen in besagtem Heilfasten-Forum.

So entstand die Geschichte von "Klisti" - ein Drehbuch zu einem Zeichentrickfilm, das ich vermutlich niemals schreiben werde. Die Hauptfigur ist natürlich Klisti, das kleine Klistier, das sich im unermüdlichen Kampf für gesunde Ernährung und Darmreinheit den schrecklichsten Schurken stellt. Auch diese Schurken hatte ich gleich vor Augen: Nämlich Doc Prokto, den skrupellosen Arzt, und Direktor Stopf, den Chef des Lebensmittelkonzerns "Nahrungsmittelzusatzstoffe AG", die beide in ihrem Streben nach Profit die Verdauung der Menschheit bedrohen.
  Ich hatte natürlich nicht gleich den ganzen Film vor Augen, sondern zunächst nur die Grundidee und die Hauptfiguren. Klistier stelle ich mir als Fläschchen vor, mit langem Hals und dünnen Armen und Beinchen (weil so ein Held ja auch etwas beweglich sein muss). Doc Prokto ist ein hagerer, verkniffener Arzt und Generaldirektor Stopf die klassische Kapitalistenfigur.
  Auch das Ende des Filmes stand mir klar vor Augen: Wie Klisti heldenhaft den Stuhl des Generaldirektors erklimmt, genau in dem Augenblick, wo dieser sich niederlässt ... und die heilsame Wirkung eines Einlaufs erfährt. Und danach ist der Böse geläutert, denn natürlich hat nur seine schlechte Verdauung sein niederträchtiges Streben beflügelt. Man merke sich: Ein reiner Darm gebiert einen reinen Geist.
  Klisti fühlt sich nach seiner Heldentat recht geplättet, doch sieht man ihn noch im Sonnenuntergang zur strahlenden Firma seines Herstellers kriechen, wo er befüllt wird und zu neuen Taten bereitsteht. Das wäre für so einen Werbefilm noch mal eine gute Einstellung, die das edle, menschenfreundliche Wirken der Pharmafirma illustriert.
  Was dazwischen so passiert ... nun, allerhand Abenteuer, Wendungen, Verwicklungen. Ein paar Nebenfiguren, nicht zuletzt natürlich Klistis Freunde (denn ein Held hat natürlich Freunde, die Bösen nur Geschäftspartner - was wäre ein solcher Film, wenn man sich nicht in Klischees suhlen könnte?). Diese Details würden sich beim Schreiben mehr oder minder von selbst fügen; in der ersten Inspiration muss ja nicht das ganze Werk stehen. Aber das ein oder andere sah ich doch schon in diesem Moment, als die erste Idee in meinem Kopf aufblitzte, deutlich vor Augen.
  Wie beispielsweise Klistis väterlichen Mentor, den weisen Yogi. Der sitzt auf seinem Nagelbrett, mit dürrer Figur, aber schwerem, aufgeblähten Bauch, als Klisti zu ihm kommt und einen Rat braucht. Aber dem Yogi fällt nichts ein. Allerdings praktiziert der Yogi tägliches Fasten, und gerade in diesem Augenblick ist sein Einlauf fällig. Der schwere Bauch verschwindet, der Yogi schwebt über dem Brett und die Erleuchtung kommt - ein Bild, das sich förmlich aufdrängt, wenn man den Diskussionen auf dem Heilfasten-Forum gefolgt ist. Denn man merke sich: Ist der Darm rein, wird der Geist leicht.

Wo kommen also die Ideen her? Dieser ganze Film, den ich vor Augen hätte, war nichts weiter als eine überzogene Darstellung der Aussagen und Ideologien, über die ich in besagtem Forum gestolpert bin; alle abgeleitet unter der Prämisse, dass sie mit dem Pathos eines Werbefilms dargestellt werden. Der besondere Reiz war die Vorstellung, einen ernsten Film zu machen - bei dem die Ironie gerade durch den Eindruck entsteht, man würde die absurdesten Dinge noch ernst nehmen. Ich habe einen Film vor Augen, der unfreiwillig komisch wirkt und bei dem die Zuschauer nicht wissen, ob sie fassungslos oder belustigt sein sollen.
  Diese Idee ist sicher anders als das, was mir sonst für Bücher einfällt. Aber die Art, wie sie zustande kam, hat durchaus etwas Typisches: Plötzlich fügen sich vorher unzusammenhängende Dinge zum Grundgerüst einer Story zusammen. Und an diesem Gerüst hängen schon ein paar Dinge dran, Figuren, Szenen, meistens ein Einstieg und ein mögliches Ende für die Geschichte. Dazu aber noch viele Lücken, die dann mit anderen Ideen gefüllt werden müssen.
  Ach ja: Klisti ist vielleicht eine merkwürdige Idee, aber an sich auch nicht so untypisch: Ich liebe durchaus abstruse Einfälle. Seltsamerweise sehe ich bei solchen Ideen aber meist einen Film vor mir. Einfälle für skurrile Filme habe ich zuhauf (und werde den ein oder anderen vielleicht auch noch im Blog vorstellen, für mitlesende und Ideen-suchende Regisseure). Aber wenn es ernsthaft wird, denke ich meistens an ein Buch.

Klisti ist die große Ausnahme. Denn das ist natürlich eine ernsthafte Idee, ein Erfolg versprechender Werbefilm, den Ihre Kunden lieben werden. Er ist hervorragend geeignet, gesunde Lebensführung und die natürliche Regulierung der Verdauung schon einem jungen Publikum nahe zu bringen - ein Anliegen, das in unserer Gesellschaft höchsten Stellenwert genießen sollte. Dieser Film wird Ihre Firma und Ihr Produkt bestmöglichst präsentieren. Das Publikum wird sich gerne auf diese unterhaltsame Weise belehren lassen wollen, mit großen Augen diesen außergewöhnlichen Film verfolgen und ihn mit Begeisterung kopieren und an alle Freunde weiterleiten. Eine größtmögliche Multiplikation Ihrer Werbebotschaft ist garantiert!
  Wenn Sie also zufällig ein Klistierhersteller sind: Das könnte Ihre Werbung sein! Produzieren Sie den Film, ich liefere gerne das Drehbuch - sprechen Sie mich an. Ein kleiner monetärer Einlauf, und schon könnte Klisti das Licht der Welt erblicken. Hm. Oder auch eher die lichtlosen Flecken dieser Welt ... Aber so genau muss man das jetzt auch wieder nicht betrachten.