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Arme Sprache ...
Als die »Gefährten des Zwielichts« von meinen Testlesern zurückkamen, fand ich dort auch die folgende Stelle angestrichen: "..., sagte die Stimme, die den Beutel mit den Gnomen trug." Der Grund dafür ist leicht zu erkennen: Eine Stimme kann keinen Beutel tragen. Und ohne dass ich jetzt auf das Für und Wider dieser konkreten Textstelle eingehen möchte, auf die Frage nach Stilmittel oder Stilblüte, will ich das einfach mal als Aufhänger fürs allgemeinere Thema nehmen: dass ich bildhafte Ausdrucksweisen nämlich in letzter Zeit zunehmend häufiger angegriffen finde.
Wenn ich auf entsprechende Diskussionen stoße, sind es interessanterweise selten die »normalen« Leser, die damit ein Problem haben. Auch im »Kulturbetrieb« rings um die »Hochliteratur« findet derartige Kritik selten statt, wird hier doch gerade ein »eigentümlicher« Stil oft schon übertrieben zelebriert. Wie so manches ist der Kampf gegen bildhafte Ausdrücke ein typisches Problem genreorientierter Autoren und der umgebenden Szene. Ein Fehler ist eine Abweichung von der Norm. Ein Stilmittel ist eine gezielte Abweichung von der Norm, die eine bewusste Aussageabsicht unterstützt. Es ist klar, dass es zwischen beidem eine gewisse Grauzone gibt und man das eine mitunter mit dem anderen verwechseln kann. Dies geschieht vor allem dann, wenn derjenige, der korrigieren möchte, die Aussageabsicht des Schreibers nicht erkennt, oder wenn der Schreiber fälschlich ein Stilmittel setzt - nämlich eines, das für den außenstehenden Betrachter gar keine Aussage übermittelt. Dass entlang dieser Nahtstelle zwischen Fehler und Stilmittel Diskussionen entbrennen, ist normal. Tatsächlich zählte es schon bei meiner Tätigkeit als Schlussredakteur zum Arbeitsalltag, dass Redakteure ihre sprachlichen Unzulänglichkeiten als »Stilmittel« zu verkaufen versuchten - oder, je nach Perspektive, dass der übereifrige Schlussredakteur ihren Stil »glattbügelte« ;-) Das Ringen um den Kompromiss bei solchen Streitfragen ist wichtig für die Textoptimierung. Und die beiden Gegenpole in der Diskussion sorgen dafür, dass sowohl die »Aussageabsicht des Autors« wie auch das »Verständnis des Rezipienten« bedacht werden, denen ein guter Text ja gleichermaßen gerecht werden muss.
Ein Problem entsteht allerdings, wenn ein Bearbeiter regelmäßig zu »Kurzschlüssen« neigt - wenn er also nicht in der Lage ist, einen sprachlichen Sachverhalt als Einzelfall zu werten, sondern ihn nur schematisch aufgrund unzulässig verallgemeinerter Faustregeln abarbeitet. Dass ein derartiges Herangehen an die Sprache nach meinem Empfinden in letzter Zeit überhand nimmt, habe ich an anderer Stelle schon gesagt. Aber auf kaum einem anderen Gebiet macht sich diese Entwicklung so verheerend bemerkbar wie bei den bildhaften Redewendungen. Klar: Ein schiefes Bild wirkt unfreiwillig komisch. Ein Autor, der einmal auf so etwas aufmerksam wurde, will in Zukunft solche Fehlerquellen vermeiden. Nun ist es nur leider so, dass auch der Möchtegern-Kritiker, der einmal mit einem solchen gefundenen Fehler die Lacher auf seiner Seite hatte, diesen Erfolg gerne wiederholen möchte - und daher schnell in Versuchung gerät, die Lacher womöglich durch spitzfindige Ausdeutungen und Gegen-den-Strich-Verstehen überhaupt erst zu konstruieren. Was dann, solange Schreiber und Kritiker sich in derselben geschlossenen Szene bewegen, den Schreiber dazu verführt, in vorauseilendem Gehorsam Bilder möglichst ganz zu vermeiden, nur um selbst noch die abwegigste Missdeutung zu vermeiden und »auf der sicheren Seite« zu sein. Aber: Bei Literatur geht es nicht um Sicherheit. Es geht nicht um Fehlerfreiheit, sondern darum, Leser zu beeindrucken - und das erreicht man nicht, indem man den einfachen Weg geht, um jede schreiberische Anhöhe drumherum manövriert und unten im flachen Tal bleibt. Es geht darum, den richtigen Weg zu finden. Die Erkenntnis unfreiwillig komischer, missglückter bildhafter Ausdrücke ist also nur der erste Schritt einer schreiberischen Entwicklung. Die nötige Reaktion darauf ist nicht, seinen Stil zu beschränken und auf Bilder zu verzichten, sondern um das richtige, das treffende Bild zu ringen. In jedem Einzelfall. Denn Literatur muss kämpfen, sie darf der Auseinandersetzung mit der Sprache nicht aus dem Weg gehen, sondern muss sie suchen - notfalls auch mit der Gefahr, dann und wann zu scheitern. Dafür gibt es dann ja noch den Lektor, der hoffentlich ebenfalls das Rüstzeug für diesen Kampf mitbringt. Dieses Rüstzeug, was bildhafte Formulierungen angeht, ist übrigens in erster Linie Erfahrung. Das Gelingen oder das Scheitern eines Sprachbildes vollzieht sich meist ganz spontan im Kopf des Lesers, und es lässt sich selten anhand von formalen Regeln »berechnen«. Ein belesener Kritiker kennt einen reichen Fundus an Beispielen und kann abschätzen, welches Maß an Bildhaftigkeit in einem gewissen Kontext angemessen ist, was schon mal anderswo funktioniert hat - oder gescheitert ist. Und diese Erfahrung ist der einzige Maßstab für bildhafte Rede; Logeleien und spitzfindige Wortdeutungen sind hier Spielereien ohne Belang.
Doch gerade weil das Verständnis von bildhaften Redewendungen eine Erfahrungsfrage ist, sehe ich durchaus die Gefahr eines »Überschlags« dieses derzeit recht spezifischen Phänomens in die Breite der Genreliteratur. Denn der normale Leser ist vielleicht nicht so spitzfindig wie der übliche Internet-Schreibwerkstättler, aber eine Erfahrungsfrage ist es auch bei ihm: Was ein Leser an bildhaften Wendungen versteht und akzeptiert, hängt in erster Linie davon ab, was er selbst in dieser Richtung vorher schon gelesen und als normal kennen gelernt hat. Wenn nun also zu viele angehende Autoren sich zu lange in einer Szene bewegen, die sie dazu drillt, bildhafte Wendungen meiden, aus Angst, sie könnten damit anecken, dann tragen ihre späteren Werke dazu bei, auch ein breiteres Publikum an ärmere Texte zu gewöhnen. Was dann wiederum dazu führt, dass auch diese Leser zunehmend bildhafte Ausdrücke, wenn sie denn doch mal auftauchen, als »komisch« empfinden. Damit dann immer noch selbst der letzte Leser nicht aneckt, müssten die Autoren die Menge der Sprachbilder noch weiter reduzieren, was dann wiederum den beim Leser als »normal« empfundenen Umfang noch weiter absinken lässt, und so weiter ... Die blindwütige Jagd auf bildhafte Redewendungen setzt also einen Teufelskreis in Gang, der Sprache unweigerlich verarmen lässt. Und dessen Ergebnisse man meines Empfindens nach bereits heute viel zu oft in den Schreibaktivitäten der »Fandom-Szene« beobachten kann. Darum, bitte nicht vergessen: Eine bildhafte Formulierung ist nicht dann falsch, wenn man sie missverstehen kann, sondern erst dann, wenn man sie missverstehen muss - oder wenn zumindest ein relevanter Anteil der angesprochenen Leser dazu verleitet würde, sie misszuverstehen.
Und, ach ja, was die oben angesprochene Textstelle aus den »Gefährten des Zwielichts« betrifft: Die habe ich geändert. Denn natürlich traue ich meinen Testlesern das richtige Augenmaß zu ;-) |